SPD-Bürgerversicherung: Die Katze im Sack kaufen

Z-2000-Veranstaltung in Hamburg

Am 27. März 2013 reiste der seit 2009 dem Bundestag angehörende ehemalige thüringische DGB-Landesvorsitzende Steffen-Claudio Lemme aus seinem Wohnort Erfurt nach Hamburg. Auf Einladung des Hamburger IGZ-Mitgliedsverbandes „Z-2000“ hatte die SPD einen ihrer Gesundheits- und Sozialpolitik-Experten zu der gesundheitspolitischen Gesprächsrunde im Jahr der Bundestagswahl gesandt, um über das Konzept der Bürgerversicherung und seine Auswirkungen auf die zahnärztliche Versorgung Auskunft zu geben.

Lemme ist Mitglied des Gesundheitsausschusses des Bundestages und gehört zu der Arbeitsgruppe der SPD, die sich aktuell mit der Konzeptionierung und Umsetzung der Bürgerversicherung befasst. Im April 2011 hatte das SPD-Präsidium festgestellt, dass die Bürgerversicherung „solidarisch, gerecht und leistungsfähig“ sei. Und auch jetzt ist dieses Thema ein Eckpunkt des aktuellen Wahlkampfes. Auf dem Podium saßen neben dem Gast Lemme der Vorsitzende von Z-2000, Dr. Thomas Einfeldt als Moderator und Organisator, zuständig für einführende Worte und den Ablauf des Abends; daneben nahmen der Präsident der Hamburger Zahnärztekammer, Prof. Dr. Wolfgang Sprekels, und der Hamburger KZV-Vorstandsvorsitzende, Dr. Eric Banthien, Stellung. Die Zuhörerschaft bestand aus 27 berufspolitisch aktiven Hamburger Zahnärztinnen und Zahnärzte aus den Gremien der Kammer, der KZV und dem Verband Z-2000 und beteiligte sich nach den Statements an der Diskussion.

GOZ und BEMA zusammenführen

Steffen-Claudio Lemme ist ein aufgeschlossener Sympathieträger und wusste sich und die Gesundheitspolitik der SPD geschickt zu präsentieren. Natürlich ist er durch den Werdegang in DGB und SPD rhetorisch geschult. Nach seinen Worten soll es durch die Bürgerversicherung „keinen Verlierer“ im System geben, es soll solidarischer und gerechter zugehen. Auf die ihm im Vorfeld der Einladung zugesandten 17 detaillierteren Fragen der Zuhörer wollte er im Einzelnen nicht eingehen, da die Antworten auch noch nicht verfügbar seien. Wie z.B. das Honorierungssystem (Schlagworte „Konvergenz der Systeme“ und „Gleiches Geld für gleiches Leistung“) nach einer „Zusammenführung“ von GOZ und BEMA aussehen wird, darüber würde derzeit gerade ein SPD-Experten-Gremium (Lemme, Lauterbach, Knieps u.a.) unter Einbeziehung arbeiten; dies sei so komplex, dass man damit noch nicht an die Öffentlichkeit gehen könne. Wichtiger sei auch die allgemeine Richtung „Konvergenz“. Die SPD könne gar kein abschließendes Honorarsystem veröffentlichen, denn dies sei dann eine künftige Aufgabe der Sozialpartner z.B. im gemeinsamen Bundessausausschuss (www.g-ba.de) von Krankenkassen und Leistungserbringern oder im Bewertungsausschuss bzw. erweiterten Bewertungsausschuss.

Leistungskatalog

Auch zum Umfang des Leistungskataloges der Bürgerversicherung wollte sich Lemme nicht äußern, lehnte höflich und freundlich ab, darüber zu sprechen wie „außervertragliche Leistungen“ in der Zahnmedizin zukünftig abzurechnen seien. Er gab aber zu verstehen, dass er bestimmte derzeitige „Privatleistungen“ z.B. aus dem ärztlichen IGel-Katalog für medizinisch fragwürdig hielte und er Versicherte in Schutz nehme wolle. Er bezog die professionelle Zahnreinigung auf die IGel-Leistungen und hielt in diesem Segment weitere Überprüfungen der Wirksamkeit für notwendig. Nach seinen eigenen Erfahrungen wäre das Konzept der Privaten Krankenversicherung (PKV) ein Auslaufmodell, eher geeignet für den Bereich von „Zusatzversicherungen“, die es auch neben der Bürgerversicherung geben solle. Nach Lemmes Meinung spiele die PKV für Ärzte und Zahnärzte keine große Rolle, da ja die meisten Ärzte unter 10% Privatversicherte behandelten. Auch den „privaten“ Leistungskatalog zu beschreiben sei Aufgabe der Sozialpartner.

Mehreinnahmen der BV und Budgeterhöhung

Durch die Bürgerversicherung wäre mit Mehreinnahmen zu rechnen: mehr Beitragszahler und auch Beiträge aus Zinsen und Vermögensverwaltung, außerdem durch die Wiedereinführung von paritätischen Beiträgen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Diese Entwicklung würde eine Budgeterhöhung zur Folge haben – ohne Budgetierung (als Instrument der Mitverantwortung der Leistungserbringer für die Menge) würde es aber nicht gehen. Der Gesundheitsfond und ein morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich sollen bleiben. Gleichzeitig sollen der Wettbewerb unter den Krankenkassen gestärkt und deren Beitragssatz-Autonomie sowie die Verhandlungsfähigkeit gegenüber Leistungserbringern verbessert werden. Wie dies aber im Einzelnen geregelt werden soll – „das ist noch nicht geklärt, daran arbeite der schon genannte SPD-Fachausschuss mit Hochdruck“.

Lob für die Zahnärzte

Lemme lobte ausdrücklich die Zahnärzte für die Erfolge bei der Prävention und der Zahnerhaltung. Auch die befundbezogene Festzuschuss-Regelung bei Zahnersatz hätte sich bewährt und solle beibehalten werden. Über eine Ausweitung dieses Prinzips auf andere Bereiche würde derzeit aber nicht nachgedacht.

Bekenntnis zur Freiberuflichkeit und zu einer neuen Approbationsordnung

Auf die Frage, ob die alte Parole der ehemaligen SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt „Das Dogma der Freiberuflichkeit von Ärzten und Zahnärzten müsse gebrochen werden“ noch gelte, bekannte sich Lemme zum Prinzip der Freiberuflichkeit als Mittel der wohnortnahen Versorgung der Bevölkerung, „…wenn der Sicherstellungsauftrag erfüllt werde“. Dringend forderte Lemme eine moderne Approbationsordnung – ohne hier Stellung zu den Inhalten und Ergebnissen zu beziehen (aber das war auch nicht Thema des Abends).

Fazit: Informationsbedarf vorhanden, Gespräche fortsetzen

Die Gesprächsrunde in sachlicher Diskussion bei freundlichem Umgangston diente dem Kennenlernen der SPD-Position auf der einen Seite und der Darstellung zahnärztlicher Positionen auf der anderen. Insbesondere konnten die Zahnärzte die Hinweise an MdB Lemme geben, dass das zahnmedizinische Tortenstück aus dem GKV-Kuchen jahrelang kleiner geworden ist und die Zahnmedizin kein Kostentreiber ist, dass jeder GKV-Patient jetzt durch das Festzuschuss-Prinzip und Mehrkostenvereinbarungen auch gleichzeitig ein Privatpatient sein kann, wenn er freiwillig und aufgeklärt Leistungen wählt, die über die Regelleistungen/ Sachleistungen hinausgehen. Insofern sei das Bild „in den Ost-Ländern gebe es kaum Privatpatienten“ nicht korrekt. Auch konnten die Zahnärzte deutlich machen, dass 55.000 niedergelassene Zahnärzte mit Personal und Familienangehörigen eben doch eine Multiplikatoren-Gruppe sei, die ein Gewicht haben könnte. Patienten würden „ihrem“ Zahnarzt vertrauen. (Und zu der „Igel-Leistung PZR“ erhielt Lemme auch im Nachgang zur Veranstaltung per Email weitere Informationen über die Wirksamkeit der PZR.)

Das Bild vom „reichen“ Zahnarzt sei ein altes Klischee, die Niederlassungs-Kosten erheblich, die verringerten Halbwertzeiten für Geräte und Instrumente verursachten neuen Bedarf für finanzielle Rücklagen zum Zweck der Renovierungen und qualitativen Anpassungen.

Sicher hat Lemme bemerkt: Die Zahnärzteschaft ist derzeit noch skeptisch, nicht überzeugt von der Bürgerversicherung, weil wichtige Details der Honorarordnung fehlen. Die Zahnärzte tendieren unter diesen Voraussetzungen eher zur Beibehaltung des zweigegliederten Systems von GKV und PKV bei maßvoller Korrektur und einem Umbau von Strukturen. Dazu würden die Zahnmediziner die Hand ausstrecken und weitere auch detailliertere Gespräche anbieten. Zahnmediziner sind sicher nicht davon zu überzeugen, dass die Fortführung der Budgetierung und damit die Übertragung des Morbiditätsrisikos auf die Zahnärzte „gerecht“ sind. Wie der demografische Wandel durch die Bürgerversicherung gemeistert werden kann, ist ebenfalls noch nicht deutlich genug.

Aufgabe für die Zahnärzteschaft wird sein, die gesprächsbereiten SPD-Sozialpolitiker und auch die GRÜNEN intensiv über die Auswirkungen ihres Modells der Bürgerversicherung zu informieren. Offenbar ist das Modell noch nicht ausreichend im Einzelnen durchdacht (oder die Pläne werden bewusst geheim gehalten). Dabei lehnen sich die politischen Befürworter mit globalen Äußerungen, es ergäbe sich mehr Gerechtigkeit („Keine Zwei-Klassen-Medizin“, „Gleiches Honorar für gleiche Leistung“, „keine Wartezeiten“, „keine Rationierung“ usw.), sehr weit aus dem Fenster. Wenn Rot-Grün die Wahlen gewinnt, müsste die neue Regierung relativ schnell das neue System installieren, damit sie sich nicht den Vorwurf des Wahlbetrugs einhandelt. Es besteht die Gefahr, dass die Freiberuflichkeit sich dann von selbst erledigt und ein System wie das des britischen National-Health-Service ergibt; und das ist wirklich ein Zwei-Klassen-System…

Z-2000 fordert die Kollegenschaft auf

Z-2000 fordert Kollegenschaft auf, aktiv zu werden. Nach den Erfahrungen, die der Hamburger Zahnärzteverband Z-2000 mit der Einladung des ausdrücklichen Gesundheits-Experten der SPD-Bundestagsfraktion, Steffen-Claudio Lemme, gemacht hat, kann nur jedem berufspolitisch aktiven Kollegen-Zirkel geraten werden, alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit die berufspolitischen Spitzen im jeweiligen Bundesland Gespräche mit den GRÜNEN und der SPD aufnehmen. Nur wenn es in allen Ländern rumort, wird den Verantwortlichen bewusst werden, dass die Bürgerversicherung – vorsichtig formuliert – unausgegoren vorgestellt wird oder tatsächlich unausgegoren ist und die Zahnärzte und Ärzte existentiell bedroht. Zahnärzte wollen die Katze nicht im Sack kaufen und unter diesen Umständen müssen sie gegen die Bürgerversicherung Stellung beziehen. Ob die Zahnärzteschaft von der CDU/CSU und dem Modell der solidarischen Gesundheitsprämie/Kopfpauschale Besseres zu erwarten hat, wird die Analyse des Wahlkampf-Papieres und die Befragung der Politiker ergeben.

Die „Agenda der Zahnärzte“, veröffentlicht in der ZM Nr. 7 vom 1.4.2013, ist eine gute Diskussionsgrundlage. Nur, wenn sie allein von Zahnärzten gelesen wird, nützt sie nichts. Die Politiker müssen merken, dass die Zahnärzte die Inhalte offensiv vertreten.